Alle Essays ansehen

Frank Hiddemann    I    vier Nationen - vier Räume

Forum Konkrete Kunst – Peterskirche - Erfurt am 17.09.2000:

Frank Hiddemann - Studienleiter für Medien, Kunst und Kultur Evangelische Akademie Thüringen

Installationen von Waldemar Bachmeier (D), Jan Berdysak (PL), Gerhard Frömel (A) und Henk van Germer (NL)

"Wir stehen hier in einer Kirche. Wir stehen auch in einem ehemaligen Pferdestall, in einem ehemaligen Großlager, in einem ehemaligen Munitionsdepot. Aber alle diese Nutzungen fanden in einer Kirchenarchitektur statt. Und das war und ist aufregend für alle, die diesen Raum betreten. In einer normalen Kirche sehen wir Säulen, hier die romanischen Säulen, die hochstreben, die Gewicht tragen und mit Kapitälen geschmückt sind.

Hier sind sie in der Mitte geteilt. Im Erdgeschoß, wo sich nun das Forum Konkrete Kunst befindet, sehen wir die mächtigen Säulenfüße, aber diese Säulen verschwinden nach drei Metern in einer Holzdecke. Wer hier im Zwischengeschoß der Kirche steht, sieht die Kapitäle der Säulen, aber sie tragen kein Steindach, sondern einen nachträglich eingefügten Dachstuhl. Die Kirche wurde rasiert, auf der Höhe des Schiffes abgeschnitten, um forthin als säkulares Lagergebäude zu dienen. Das wurde lange Zeit als Schande empfunden, stelle ich mir vor.

Jetzt, da der Pulverdampf der Auseinandersetzungen sich etwas verzogen hat, und jetzt da z.B. die Predigerkirche für eine Landes-Ausstellung geöffnet worden ist und der sakrale Gebrauch der Kirche locker für säkulare Nutzung und eine Sanierungsmillionen geopfert worden ist, kann man, glaube ich, anders, nüchterner und gleichzeitig wahrnehmungsorientierter mit solchen Kreuzungen zwischen Sakralität und Nutzbau umgehen.

Schauen wir uns an, wie reizvoll hier die Dachsparren aus der Scheunenarchitektur mit der Sakralarchitektur korrespondieren. Welt und Kirche kreuzen sich, bizarr und auf Gegensätze aus.   Waldemar Bachmeier lässt sich gerade von diesen rohen Balken inspirieren, deren frühere weiße Kalkung noch als Lebensspur sichtbar ist. Roh gezimmert, mit kleinen Unregelmäßigkeiten mitten in die austarierte sakrale Steinarchitektur gesetzt, um das göttliche Bauprogramm zu demütigen. Heute verlängert Bachmeier diese elementare Verspannung und legt den (imaginären) strahlenden Kern dieser Holzbalken frei. Er schält die alten Balken. Die weißen Verlängerungen der Konstruktionslinien sind 1 cm schmaler als die tragenden Balken. Sie haben keine tragende Funktion. Sie sind ein zweckfreies Spiel mit der Idee der Konstruktion und schlagen selber ornamentale Figuren.

Wenn sie die Skulptur begehen, und das müssen sie, um sie richtig wahrzunehmen, verschwindet manche Linie, und es bilden sich Figuren, die nicht mehr aus dem Konstruktionsprinzip ableitbar sind, das Sie aus der Perspektive der Übersicht leicht erkennen können. Die Verblüffung, die das Einfache auszustrahlen vermag, wenn es durch Konkrete Kunst in den Fokus unserer Wahrnehmung gestellt wird, ist immer wieder ein glücksverheissendes Moment dieser Kunst.

Wenn Sie sich hier in die Mitte stellen und die drei Ebenen dieser Arbeit auf einmal wahrnehmen, bildet sich ein strahlendes Quadrat, eine spirituelle Grundform. Wenn sie genauer hinschauen, sehen sie die winzigen Verschiebungen, die die Arbeit aus der Idealität der Konstruktion herausrücken. Wenn sie die hintere und die vordere Balkenform aufeinanderlegen, würden sie messend herausfinden, es entsteht kein ideales Quadrat, sondern eine unregelmäßige Rechteckform. Dieses Spiel von Perfektion und Realität gehört zum Charme, zum Hauptimpetus dieser Kunst.

...................................

  • Heinrich Domes   I   MODULE

    Waldemar Bachmeier - Module    I    Galerie im Kornhaus der Stadt Kirchheim unter Teck19. November 1995 - 7. Januar 1996 Einfach, klar, sachlich - so wären diese Arbeiten wohl fürs erste zu bezeichnen, einzuordnen…

    Georg Graf von Matuschka    I    Teil und Einheit  -  für…

    Tagtäglich gehen wir durch ungezählte Räume. Sie alle begleiten uns im wahrsten Sinne des Wortes auf Schritt und Tritt. Natürlich sind all diese Räume durch bestimme Funktionen mehrfach definiert. Erlauben Sie sich eine Phantasiereise durch die…

Ausgewählte Essays

Dr. Barbara Leicht    I    fortune concrete    I    Die Farben des Glücks

In seiner Serie „Die Farben des Glücks“ hat Waldemar Bachmeier ein System entwickelt, das nicht an einem mathematischen Theorem anknüpft, sondern am Prinzip des Zufalls festhält. Er widmet sich der Zahlenreihe eins bis 49 der Lotterie „sechs aus… Mehr lesen

Dr. Barbara Leicht    I    Positionen und Tendenzen

Positionen und Tendenzen - Kunst Museum Erlangen 12. Juli – 31. August 2003 Auszug aus der Eröffnungsrede Waldemar Bachmeier zeigt die Rauminstallation „continuous and never–endingdevelopment“… Mehr lesen

Georg Graf von Matuschka    I    Teil und Einheit  -  für eine Sprache der (Sinne) Körper

Tagtäglich gehen wir durch ungezählte Räume. Sie alle begleiten uns im wahrsten Sinne des Wortes auf Schritt und Tritt. Natürlich sind all diese Räume durch bestimme Funktionen mehrfach definiert. Erlauben Sie sich eine Phantasiereise durch die… Mehr lesen

Frank Hiddemann    I    vier Nationen - vier Räume

Forum Konkrete Kunst – Peterskirche - Erfurt am 17.09.2000:Frank Hiddemann… Mehr lesen

Heinrich Domes   I   MODULE

Waldemar Bachmeier - Module    I    Galerie im Kornhaus der Stadt Kirchheim unter Teck19. November 1995 - 7. Januar 1996 Einfach, klar, sachlich - so wären diese Arbeiten wohl fürs erste zu bezeichnen, einzuordnen… Mehr lesen

Petra Weigle   I   Waldemar Bachmeier

"Alle Erscheinungen verändern einander unausgesetzt; visuell hängt eins mit dem anderen zusammen. Anschauen heißt, das Sehvermögen der Erfahrung dieser gegenseitigen Abhängigkeit unterwerfen." (John Berger) Mehr lesen

Dr. Klaus Batz   I   LeibRaum. Übungen für den Betrachter 

Das Sehen von Bildern ist notwendig ein Wechselspiel von Sichtbarem und Gesehenem; das aktuell Sichtbare erlebt der Betrachter immer im Zusammenhang mit seinen bewahrten Bildern. Seine ästhetischen Erfahrungen gründen sich bei jedem dieser Sehakte neu… Mehr lesen

Hans Peter Miksch   I   Das Ereignis: Material und Form

Kunst als geschlossenes System, denn wäre es nicht geschlossen, gäbe es kein System. Das ist es, was Waldemar Bachmeier vorführt. Tafelbilder nennt er gelegentlich in traditioneller Sprechweise die Wandstücke aus verschiedenen Materialien. Dabei… Mehr lesen