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Heinrich Domes   I   MODULE

Waldemar Bachmeier - Module    I    Galerie im Kornhaus der Stadt Kirchheim unter Teck

19.November 1995 - 7. Januar 1996

Einfach, klar, sachlich - so wären diese Arbeiten wohl fürs erste zu bezeichnen, einzuordnen, abzuschätzen; wobei die Einfachheit der Klarheit, die Klarheit der Sachlichkeit entspricht. Auf jeden Fall verbindet sich mit diesen Eigenschaften der Begriff der mathematischen Exaktheit, der geometrischen Strenge, der kühlen Abwägung. Kopfarbeit demnach.  Kalkulierbar, berechenbar, kontrollierbar.  Aber wir täten diesen Arbeiten und erst recht dem Künstler unrecht, wenn wir nur diese Faktoren in Betracht zögen

Wohl sind sie das Grundmuster, der Ausgangspunkt, der Modus, der Modul, nicht jedoch das allein Bestimmende.  Um diesen Arbeiten in ihrer Gesamtheit und Bedeutung gerecht zu werden, möchte ich ihre Beschreibung in drei Kapitel gliedern:

Kapitel Eins: Das Material. Beton, Acrylglas, Linoleum, Schaumstoff, Sperrholz, Spanplatte - also Stoffe, die industriell hergestellt, industriell verwertet werden Kunststoffe. Das wiederum hat seine Bewandtnis in der Biografie des Künstlers.  Waldemar Bachmeier, 1956 im mittelfränkischen Höchstadt an der Aisch geboren, ist in einem industriellen Umfeld aufgewachsen, hat die Industrie, ihre Fertigungsmethoden, ihre Produkte als Bestandteil modernen Lebens, der Zivilisation des 20.  Jahrhunderts erkannt und anerkannt und hegt demnach ein besonderes Interesse für sie.

Das reicht wohl zurück bis in die Studienjahre an der Fachoberschule für Gestaltung in Nürnberg 1978-80 und an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, wo er von 1980 bis 1987 die Klasse für Textilkunst und Flächendesign besuchte, deren Meisterschüler er war. Gerade dieses Studium der Textilkunst und des Flächendesigns spielt eine wichtige Rolle für die spätere künstlerische Entwicklung, hier wurde der Grund gelegt für die Auseinandersetzung mit Kunststoffen, wie überhaupt das Interesse an der Arbeit mit, sagen wir "banalem" Material.

Das ist aber nicht das Einzige. Hinzukommt - und das erscheint mir wesentlich - das Interesse, die Neugier an der Polarität der Materialien: Beton und Glas; Linoleum und Acrylglas; dazu dann die Arbeit mit Schwämmen.  Beton und Glas werden Sie sagen, das klassische Material moderner Architektur.  Waldemar Bachmeier ist kein Architekt, deshalb interessiert ihn auch nicht die architektonische Verwertbarkeit, ihn fesselt das Verhältnis unterschiedlicher Materialqualitäten, Stoffbeschaffenheiten im Verhältnis zu ihrer Quantität, in Bezug auf Oberfläche und Volumen und die Kombination daraus.

Wie lässt sich das Volumen eines Körpers in eine Fläche verwandeln und umgekehrt?  Wie verhalten sich Festkörper und Hohlräume zueinander?  Welche optischen Wirkungen entstehen bei einer Flächengleichung, zum Beispiel in den intarsienhaften Arbeiten aus Linoleum und Acrylglas? Von solcher Fragestellung geht der Künstler aus.  Gleiches Volumen bei veränderter Form, gleiche Form bei optisch veränderter Oberfläche. Sie werden einwenden, das sei Sache der Mathematik. Ja und Nein. Denn es geht nicht allein um die Berechenbarkeit, es geht auch und eigentlich entscheidend um die Form. 

Damit komme ich zu Kapitel Zwei.  Die Form. Waldemar Bachmeier scheidet aus dem überquellenden Topf der Formen zunächst alles Überflüssige, Beiläufige, Zufällige aus. Übrig bleiben die Fläche als zweidimensionale Form und der Kubus als dreidimensionale Form.  Oder anders aus-, gedrückt: das Tafelbild bzw. das Wandstück und die Körperform bzw. die Bodenarbeit, wobei ja jede Körperform auch eine Oberfläche hat, also zweidimensional ist, und jedes Tafelbild eine wenn auch geringe Erhabenheit hat, das heißt dreidimensional, also eine Wandskulptur mit einem geschlossenen Hohlraum ist.  Denn das Tafelbild hebt sich ja durch den Rand, den Rahmen plastisch von der Wand ab.

Mit anderen Worten: das Volumen lässt sich flächenmäßig formen, ausrollen - die Fläche lässt sich zu einem Kubus schichten und wird so ein Körper mit Volumen.  Aus der Kombination bzw. aus dem Gegen- und Ineinander dieser beiden Prinzipien bezieht Waldemar Bachmeier seine künstlerischen Impulse.  Auf dem Grenzgang zwischen Fläche und Volumen beruht der Denkansatz im Werk des Künstlers.

Die Chiffre dafür ist der Modul: die Verhältniszahl mathematischer oder technischer Größen. Die Abfolge von Ausdehnung und Begrenzung, Reihung und Anordnung bedeutet zugleich ihre geometrische, mathematische, konstruktiv - strukturelle Schlüssigkeit. Anordnung hieße demnach Ordnung, Berechenbarkeit, Maß und Zahl, feste Größen.  Aber so wie jeder nach einheitlichem Grundmuster ausgelegte Baukasten die Möglichkeit des Veränderns, der Variation eröffnet, des freien Spiels, der einfallsreichen Kombination, so stehen auch Waldemar Bachmeier alle Versuchsreihen, alle Entdeckungen, alle Lösungen offen - gesteigert durch die Polarität des Materials.  Es ist ein Spiel der klaren Formen, ein Spiel mit den Formen, dem Material.

Diese Arbeiten regen vielfache Fragen an.  Ist Kunst berechenbar?  Wenn ja, ist dann der Künstler ein Ingenieur?  Oder: was kann man mit Material machen?  Welche neuen Überlegungen können in ein Kunstwerk eingebracht werden?

Waldemar Bachmeier geht den umgekehrten Weg, den die Kunst heute vielfach einschlägt,: von der Verformung zur Formgebung, vom Formverlust zum Formbewusstsein.  Und er beweist, welche Unzahl von "Anwendungen" sich daraus ergeben. durch Anhäufung, Gliederung, Staffelung, Trennung; durch symmetrisches oder asymmetrisches Verfahren.  Waldemar Bachmeiers Arbeiten sind "Baupläne" in einem übergeordneten Sinn.  Ihre Zusammenfügung folgt den Begriffen von Maß und Zahl, den Gesetzen der Mathematik, der Physik.  Wie deckt sich das mit unserem Kunstbegriff?

Nun denken Sie an die großen Astronomen und Physiker am Ende des Mittelalters, zu Beginn der Neuzeit.  Sie erklärten die Harmonie des Weltalls aus dem Ordnungsverhältnis der Zahl, und sie waren überzeugt, dass aus dieser Ordnung Sphärenmusik entstände Tonkunst.  Die Form als Ordnungsprinzip und spielerisches Element.

Kapitel Drei. Das künstlerische System. Diese Arbeiten lassen keine Interpretations- akrobatik zu, sie brauchen sie nicht, sie sind nicht darauf angewiesen. Diese Arbeiten sprechen für sich - so wie eine Zahlenreihe, ein Bausystem, ein Laborversuch, eine chemische Zusammensetzung für sich spricht. Der Unterschied ist, das im Labor, bei der Zahlenreihe ein Beweis erbracht, ein Ergebnis erzielt, eine neue Formel gefunden, eine Endsumme errechnet wird.  Bei den Arbeiten Waldemar Bachmeiers jedoch nicht!  In diesen Arbeiten kommt es auf den Prozess an, auf den Prozess der Wahrnehmung, Das Ergebnis kann zufällig sein, es kann spielerischer Umgang oder die Wahrnehmung eines Ordnungsprinzips mit ästhetischen Mitteln sein: das Kunstwerk als Baustein, als Wahrnehmungsobjekt. Es gibt in diesen Arbeiten keine Vertuschung, keine Übertreibung; sie sind weder Psychogramm noch haben sie eine Botschaft; sie kennen keinen Überschwang und bedürfen keiner ideologischen Stütze.

Die Farbe, ohnehin sparsam eingesetzt, hat keine symbolische Bedeutung, auch keine vorrangig gestalterische Funktion, sie steht ganz im Dienste der Kombination und der Unterscheidung. Ausschlaggebend für den Betrachter ist nicht, wie der Künstler dazu kam, ausschlaggebend ist, was wir sehen, was wir wahrnehmen.

Um Lesen zu können, brauchen wir das Alphabet; um eine chemische Zusammensetzung mitzuteilen, brauchen wir die Formeln.  Für den Künstler ist das Alphabet das Material, seine Formeln sind Fläche und Körper im Verhältnis zu ihren Volumen.  Sie sind die Formeln für visuelles Begreifen.

Unsere Welt ist berechenbar geworden, ist bis ins Letzte genormt.  Welcher Spielraum bleibt der Kunst, dem Künstler, wenn er sich ihrer Baustoffe bedient.

Waldemar Bachmeier zeigt uns auf überzeugende und wie ich meine, intellektuell sensible Weise, dass Kunst auf Logik nicht zu verzichten braucht, dass Kunst auch ein Stufenplan des Wahrnehmens ist, dass der Künstler sehr wohl Konstrukteur, Mathematiker, Systematiker sein kann wie umgekehrt der Systematiker, Mathematiker, Konstrukteur ein Künstler sein kann.  In Waldemar Bachmeier finden wir die Synthese aus beidem.  Er verhilft uns zu neuer visueller Erfahrung - zu einem neuen Raum und Funktionserlebnis.

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