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Georg Graf von Matuschka    I    Teil und Einheit  -  für eine Sprache der (Sinne) Körper

Tagtäglich gehen wir durch ungezählte Räume. Sie alle begleiten uns im wahrsten Sinne des Wortes auf Schritt und Tritt. Natürlich sind all diese Räume durch bestimme Funktionen mehrfach definiert. Erlauben Sie sich eine Phantasiereise durch die letzten von ihnen begangenen Räume.

Denken Sie sich alle Möblierung und Ausschmückung weg und probieren Sie dies mit dem Ziel den nackten Raum mit all seinen Begrenzungen in Erfahrung zu bringen. Bedenken Sie dann die besonderen Proportionen, den Raumzuschnitt, die farbliche Gestaltung, die Lichtführungen bzw. Verschattungen.

Welche Empfindungen stellen sich ein? Welche Gedanken kommen Ihnen dabei. Mehr und mehr interessiert uns wie gebauter Raum auf unseren Körper auf unsere Leiblichkeit wirkt. Wir fragen nach dem Wohlfühlen, nach Behaglichkeit und den Gegenstücken: Befreiung aus der Beengung, Flucht aus den deprimierenden „Wohnmaschinen“. Wandlung des bedrückenden Arbeitsplatzes in eine Sphäre, die unsere Kräfte positiv unterstützen.

All dies fällt mir ein, wenn ich die neuesten Arbeiten Waldemar Bachmeiers betrachte.

In Bachmeiers raumbezogenen Arbeiten ist schon nach wenigen Augenblicken erkennbar, dass es sich hier um einen Künstler handelt, der sehr präzise und akkurat, mit einem hohen Einfühlungsvermögen zum jeweiligen Raum arbeitet. Nach einer intensiven Auseinadersetzung mit den vorfindlichen räumlichen Bedingungen, findet er schließlich zu einer konsequenten Formentwicklung seiner Werke. Im Formenvokabular entwickelt er eine puristische Sprache, die den Betrachter auf Wesentliches, ja Elementares lenkt. Mit erfahrenem Blick erkennt er die Grundzüge der Architektursprache seiner raumformenden Kollegen und antwortet als Bildhauer mit reduktionistisch einfach aufgebauten Formelementen. Er meidet das Überbordende, Überladene und stellt Spannungsbögen her.

Der Betrachter seiner Werke ist in diesen kreativen Prozess zwischen Spiel und Kalkül einbezogen. Gerade dies macht den Reiz seiner Wandarbeiten und Rauminstallationen aus.

Bachmeiers Sequenz der Positiv - Negativarbeiten werden erst dann in ihrer formalen Kraft verständlich, wenn man sich den angebrachten Teilstücken reflexiv nähert. Was auf den ersten Blick wie die Montage von beliebig zusammengestellten Verschnitt- und Reststücken wirken könnte, stellt sich als eine Arbeit gewissenhafter Konstruktion heraus. Ganz besonders deutlich wird das in seinen Arbeiten, wo er mit Kreis- und Ringelementen arbeitet. Von hohem Reiz sind seine jüngsten Arbeiten, in welchen bis zu vier elliptische Bahnen ein Rechteck in ein komplexes Feld von zueinander verwandten Stücken teilen. Segmentbögen, die Teile der Wandarbeiten sind, evozieren im Auge des Betrachters den Willen zur Komplettierung. Das Ergänzungshandeln, um zur vollkommenen Gestalt zu kommen geschieht imaginär und ist bei uns als wahrnehmungspsycholgischer Drang längst bekannt. Bachmeier nutzt diesen permanenten menschlichen Gestaltungsdrang seiner Betrachter in seinen Arbeiten.

Aus Wahrnehmungsresten wie Kurven, Segmenten, geometrischen Teilstücken bilden wir reflexiv Kreisumfang, Kreisscheibe und Ringkontinuum. Das heißt in der Konsequenz: wir sehen mehr als materiell vorhanden ist. Durch die raffinierte Versetzung, rhythmische Umsetzung von Kreisumfassungsflächen entsteht ein neues Gebilde. Teile stoßen an imaginären Linien aneinander. Der Betrachter erspürt diese Linien und erkennt sein Gespür für feinere Zusammenhänge, unaufdringlich komponierte Proportionsgaben. Das Spiel zwischen Begrenzungslinien und Flächen zu oszillieren nährt Bachmeier zuweilen durch das Auftragen von Reflexfarben auf den zur Wandseite zugekehrten und dort montierten Flächen. Allein der natürliche Lichteinfall sorgt dann dafür, dass eine Wandarbeit vor der Trägerfläche zu schweben scheint und markiert somit die Begrenzungslinien der Wandarbeit auf subtile, zurückhaltende Weise. Neben dem Hervorleuchten der Arbeit, die auf das Körperhafte der ansonsten flächig wirkenden Arbeit verweist und ihr eine zweiten Natur verleiht, wird damit der Arbeit auch eine Leichtigkeit angediehen, die erst durch diesen farblichen Aspekt hervorgeheben wird. Und noch ein Drittes bewirkt diese Reflexbetonung. Der Betrachter wird zu einem Pendeln seines Betrachterstandpunkts vor dem Werk veranlasst. Die Wandskulptur will aus unterschiedlichen Perspektiven erlebbar und erfahrbar werden und so die Breite ihrer ästhetischen Kraft übermitteln.

Die Messpunkte und Koordinaten, die ihm die konkrete architektonische Situation bietet, können beispielsweise Zentren für Radien werden. Das Austarieren, Balancieren zwischen Raumkörper und Negativraum ist ein elementares Element seiner Arbeit geworden. Werkelemente sind in ihrer farbigen Zuordnung, auch wenn sie divergent im Raum angebracht sind, leicht aufeinander beziehbar. Als Stilmittel Bachmeiers dürfen wir dessen minimalistische Art der künstlerischen Auseinandersetzung sehen. Deshalb übersieht man sich wahrscheinlich auch nicht an seinen „Formulierungen“. Die Sinnhaftigkeit ihrer Aufstellung, ihrer Anbringung oder ihrem farblichen Reflex auf den Umraum erhalten die Werke aus dem Wechselverhältnis des kräftebildenden Milieus. Eine Arbeit kann deshalb nur so „stark“ sein wie Spannungsmomente des Umraums in das Werk aufgenommen werden.

Bachmeier beherrscht dieses Herausarbeiten von „spannenden Raumbezügen“ auf hervorragende Weise. So spielt er konstruktiv und strukturell auf die jeweiligen räumlichen Raumdimensionen, Koordinaten und gefühlstragende Momente von Räumen an. Sein Spiel mit unsichtbaren Linien, erahnbaren Kraftlinie, die sich aus seinen Werken ableiten und mit dem Vorstellungswillen des Betrachters arbeiten, führen über in einen imaginären Raum. Im einen aller möglichen Fälle treffen sich die Gedanken des Betrachters mit den Konstruktionsplänen von Architekt und Bildhauer. In diesem durch Kraftlinien durchformten plastischen Raum begegnet der Betrachter sowohl den Setzungen seiner Lebenswelt wie dem kreativen Potential einer möglichen „anders gearteten Welt“. Bachmeiers Arbeiten zeigen mit wenigen, aber dafür sehr ausgeklügelten Mitteln eine räumliche Öffnung, die uns im gehetzten Nutzen von Räumen verborgen blieben. So fordert seine Kunst auch ein Sicheinlassen auf Form und Raumsprache. Der Gewinn, den wir aus diesen Vermittlungen und Herausbildungen einer neuen Raumsicht gewinnen kann nicht hoch genug angesiedelt werden.

Bachmeiers Arbeiten lassen Augen und Sinne öffnen.

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